Fallstudie: Zahl der Moden einer Faser
Behandelte Fragen:
- Was bestimmt die Zahl der Moden einer Faser?
- Können wir eine bekannte Formel (basierend auf der V-Zahl) für Fälle mit beliebiger Form des Index-Profils verallgemeinern?
Bei mehrmodigen Fasern ist es oft von Interesse, wie viele geführte Moden sie haben. Beispielsweise kann eine Faser eine moderate Zahl von Moden wie folgt haben:
Multimode-Fasern können aber auch eine viel höhere Zahl von Moden haben – z. B. mehrere tausend. Hier ist ein Beispiel mit fast 1000 Moden:
Für Fasern mit einem einfachen Stufenindex-Design (d. h. mit konstantem Brechungsindex im Kern) und genügend hoher V-Zahl weiß man, dass die Zahl der Moden als <$V^2 / 4$> per Polarisationsrichtung geschätzt werden kann, bzw. als das Doppelte für beide Richtungen. Die Frage dieses Artikels:
Können wir diese Regeln verallgemeinern für Fasern mit beliebiger Form des Brechungsindexprofils?
Übrigens zählen wir hier immer die Moden-Orientierung für <$l \neq 0$> separat; beispielsweise schreibt man einer Faser, die nur die LP01 (fundamentale Mode) und LP11 unterstützt, 3 Moden zu, weil die LP11 zwei verschiedene Orientierungen aufweist (mit einer azimuthalen Abhängigkeit <$\sin \varphi$> oder <$\cos \varphi$>). Die Faser gemäß Abbildung 1 hat in diesem Sinne 6 Moden, und die von Abbildung 2 hat 994.
Entwicklung einer Hypothese
Wir entwickeln mithilfe eines heuristischen Ansatzes eine geeignete Gleichung. Dazu betrachten wir zunächst die V-Zahl, die definiert ist als
$$V = \frac{{2\pi }}{\lambda } r_{\rm co} \;{\rm{NA}}$$mit dem Kernradius <$r_{\rm co}$>, der numerischen Apertur NA und der Vakuumwellenlänge <$\lambda$>. Mit der bekannten Formel für die Anzahl der Moden (für nur eine Polarisationsrichtung) erhalten wir:
$$M \approx V^2/4 = \frac{\pi}{\lambda^2} \; \pi \; r_{\rm co}^2 \: {\rm NA}^2 $$Wir erkennen darin <$\pi \; r_{\rm co}^2$> als die Fläche des Faserkerns, während <$\pi$> NA2 den Raumwinkel entsprechend der numerischen Apertur bestimmt (im Rahmen der paraxialen Näherung). Es ist nun plausibel, die folgende verallgemeinerte Formel anzunehmen:
$$M \approx \frac{\pi}{\lambda^2} A_{\rm co} \: \left< n_{\rm{co}}^2 - n_{\rm{cl}}^2 \right> $$wobei die spitzen Klammern in <$\left< n_{\rm{co}}^2 - n_{\rm{cl}}^2 \right>$> eine Mittelung über die Kernfläche bedeuten (eine Art von gemittelter quadratischer NA).
Beachten Sie, dass für ein nicht magnetisches Medium, wie wir es in der Optik normalerweise haben, <$n^2 = \epsilon_{\rm r}$> gilt, sodass wir einfach die Erhöhung der dielektrischen Konstante integrieren können. Außerdem können wir schreiben <$n_{\rm co} = n_{\rm cl} + \delta n$>, woraus wir sehen, dass der gemittelte Term ungefähr <$2 n_{\rm cl} \left< \delta n \right>$> wird (mit Vernachlässigung des kleinen Terms <$(\delta n)^2$>).
Wir können die Gleichung auch mit einem radialen Integral formulieren:
$$M \approx \frac{\pi}{\lambda^2} \int_0^{r_{\rm co}}{2\pi \; r \: \left(n^2(r) - n_{\rm{cl}}^2\right) \: {\rm d}r}$$oder
$$M \approx \frac{\pi}{\lambda^2} \int {\left(n^2 - n_{\rm{cl}}^2\right) \: {\rm d}A}$$(wieder mit Integration über die gesamte Kernfläche).
Dies können wir als eine Art von Volumen interpretieren: das Volumen unterhalb eines 3D-Plots von <$n^2(r) - n_{\rm{cl}}^2$> über die Fläche des Faserkerns, multipliziert mit dem Faktor <$\pi / \lambda^2$>.
Man könnte diese Formel vermutlich mathematisch beweisen (kennt jemand einen Beweis?), aber vermutlich wäre das nicht einfach. Stattdessen testen wir im Folgenden unsere Hypothese auf andere Art.
Numerische Tests
Wir benutzen einfach die Software RP Fiber Power, die die Power Form “Mode Properties of a Fiber” anbietet.
Stufenindexfaser
Wir beginnen mit einer Stufenindexfaser mit 100 μm Durchmesser des Faserkerns und einer NA von 0,2. Hierfür berechnet die Software 994 Mode, während die Gleichung einen Wert von <$V^2 / 4$> = 987 ergibt. Wir lassen das Formular nun immer das Verhältnis der Zahl der Moden zum Schätzwert von der Gleichung anzeigen. Im ersten Fall ist dieses 1,01.
Ring-Profil
Der nächste Test ist für ein Profil mit einem Ring mit erhöhtem Brechungsindex für Radien zwischen <$r_{\rm co} / 2$> und <$r_{\rm co}$>. Hier fällt die Zahl der Moden auf 747, während der Schätzwert um ein Viertel auf 741 fällt. Das Verhältnis ist weiterhin 1,01.
Die funktioniert auch, wenn der Ring z. B. Radien von 80 % bis 100 % des Kernradius überspannt: Wir haben dann nur noch 363 Moden, und 356 von der Formel. Das Verhältnis steigt hier leicht auf 1,02; das können wir einfach so interpretieren, dass die Schätzung für eine geringere Zahl von Moden weniger genau ist.
Parabolisches Profil
Wir betrachten nun ein parabolisches Indexprofil, wobei der maximale Brechungsindex derselbe ist wie zuvor.
Das reduziert die Zahl der Moden auf 496, wieder 1,01 mal der Schätzwert.
Invers parabolisches Profil
Nun haben im Zentrum den Brechungsindex des Fasermantels und einen parabolischen Anstieg zum Mantel hin, wo der Brechungsindex abrupt fällt:
Ein solches Profil mag nicht realistisch sein, aber unsere Schätzung funktioniert auch hier gut: 500 Moden = 1,01 mal der Schätzwert von 493.
Abhängigkeit von der Wellenlänge
Unsere Formel zeigt, dass die Abhängigkeit von der Wellenlänge immer dieselbe ist: eine inverse quadratische – unabhängig von der Form des Indexprofils.
Wir können auch dies numerisch testen. Wenn wir beispielsweise den oben diskutierten Fall mit parabolischem Profil nehmen und die Wellenlänge auf 500 nm halbieren, steigt die Zahl der Moden von 496 auf 1960, also um einen Faktor von ca. 3,95 – nahe bei 22 = 4.
Die invers quadratische Abhängigkeit hängt übrigens damit zusammen, dass das Licht in der Faser in zwei Dimensionen geführt wird. Bei einem eindimensionalen Wellenleiter wäre es nur eine Abhängigkeit von <$\lambda^{-1}$>.
Fazit
Alle Tests haben die Hypothese bestätigt, dass wir die Zahl der Moden einfach schätzen können, indem wir das Quadrat des Brechungsindex abzüglich diesem Wert des Mantels über die Kernfläche integrieren. Obwohl dies kein strikter Beweis ist, können wir durch diese Tests zusammen mit physikalischer Intuition ziemlich sicher sein, dass es so stimmt.
Beachten Sie allerdings, dass wir die Tests nur mit radial symmetrischem Design durchführen konnten, da die Berechnung von LP-Moden nur in diesen Fällen funktioniert. Es ist aber abzunehmen, dass die Formel auch in allgemeineren Fällen gilt.
Übrigens befragte ich auch ChatGPT und Google Gemini, zwei populäre Tools mit künstlicher Intelligenz, nach einer solchen Verallgemeinerung der Formel; beide konnten das nicht. Falls Sie sich für künstliche Intelligenz interessieren: Es gibt einen Artikel über die Anwendung künstlicher Intelligenz in der Photonik.
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