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Fallstudie: Die numerische Apertur einer Faser: eine feste Grenze für den Akzeptanzwinkel?

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Behandelte Fragen:

  • Warum kann die Winkelverteilung von Fasermoden über die Grenze hinausgehen, die die numerische Apertur setzt?
  • Wie ist diese Situation für Fasern mit einer Mode, ein paar Moden oder vielen Moden?
  • Wie steht es mit Moden nahe an ihrem Cut-off?

Analytische Überlegungen

Nach allgemeiner Ansicht für die Führung von Licht in einer optischen Faser die Bedingung für die interne Totalreflexion erfüllt sein. Dies führt zu einer Grenze für den Akzeptanzwinkel <$\theta$> für auf die Faser treffendes Licht:

$$\sin \theta \leq {\rm NA} = \sqrt{n_{\rm co}^2 - n_{\rm cl}^2}$$

wobei NA die numerische Apertur ist, die aus den Brechungsindizes von Faserkern und Fasermantel berechnet wird. Der Einfachheit halber betrachten wir hier immer Stufenindexfasern.

Die Winkelverteilungen der Moden, die man durch räumliche Fouriertransformation der Modenamplituden berechnet, sind eng verbunden mit dem Fernfeld von aus der Faser austretendem Licht. Nach einer genügend langen Distanz ist das Intensitätsprofil dieses Lichts in einer Ebene senkrecht zur Ausbreitungsrichtung durch das räumliche Fourierspektrum der Modenamplituden bestimmt (wenigstens im Rahmen der paraxialen Näherung). (Siehe den Artikel über Fourier-Optik für mehr Details.)

Nun weiß man, dass die geführten Moden Fernfeld-Intensitätsverteilungen haben, die nicht abrupt an einer bestimmten Grenze verschwinden, sondern vielmehr kontinuierlich abnehmen.

Damit stößt man auf die interessante Frage, ob die genannte Grenze für den Einfallswinkel, die direkt mit der transversalen Komponente des Wellenvektors verbunden ist, eigentlich zu einer festen Grenze für die Fernfeld-Intensitätsverteilung führen sollte. Wenn nicht, sollten die Moden nicht Ausbreitungsverluste erleiden dadurch, dass ein gewisser Teil ihrer Leistung keine Totalreflexion mehr erfährt?

Um dies zu verstehen, müssen wir beachten, dass der Akzeptanzwinkel entsprechend der numerischen Aperture auf einem Konzept basiert, das sich auf zwei recht unterschiedliche Theorien bezieht:

In einer Faser geführtes Licht kann natürlich nie eine ebene Welle sein, da es definitionsgemäß räumlich auf den Faserkern beschränkt ist (evtl. einschließlich seiner näheren Umgebung). Die räumliche Begrenzung führt zwangsläufig zum Einfluss von Beugung und damit zu einer kontinuierlichen Winkelverteilung. Dies ist fundamental anders als die Situation einer ebenen Welle, die transversal nicht beschränkt wird und keine Beugung erfährt.

Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass eine strikte Grenze für den Winkel bei Fasern nicht auftreten kann, sondern nur bei ebenen Wellen, die hier nicht vorkommen. Und die Modenberechnungen resultieren in Amplitudenprofilen, die keine Propagationsverluste durch nicht vollständige Totalreflexion aufweisen.

Wenn man dies verstanden ist, ist es immer noch interessant zu prüfen, inwieweit die Winkelverteilung von Licht in Fasern (oder im Fernfeld des austretenden Lichts) die durch die numerische Apertur gegebene Grenze überschreiten kann. Das tun wir im Folgenden.

Numerische Tests

Wir gehen die Fragestellung nun also mit einigen numerischen Tests an, bei denen wir die Software RP Fiber Power verwenden. Diese bietet eine Power Form namens “Fiber Modes From Refractive Index Profile”, die für solche Untersuchungen ideal geeignet ist. Im Folgenden testen wir mehrere verschiedene Situationen. In allen Fällen nehmen wir einen festen Wert von 0,2 der numerischen Apertur an und eine Wellenlänge von 1 μm, sodass wir die Resultate direkt vergleichen können.

Einmodige Faser

Bei einer einmodigen Stufenindexfaser gibt es nur noch einen freien Parameter, nämlich den Kernradius (Radius des Faserkerns). Dieser hat eine direkte Bedeutung für die Divergenz des aus der Faser austretenden Lichts. Wir erwarten die höchste Divergenz, wenn der Modenradius am kleinsten ist, und dieser hängt vom Kernradius ab:

  • Wenn wir einen ziemlich kleinen Kernradius von 0,5 μm annehmen, wird der Modenradius recht groß (63,2 μm). Die Mode reicht dann weit über den Kern hinaus, und dies führt zu einer sehr schwachen Divergenz, die bei Weitem nicht die durch die NA gegebene Grenze erreicht. Übrigens ist eine solche Mode sehr schwach geführt und würde entsprechend sensitiv z. B. auf Biegen der Faser reagieren. Dies ist deswegen kein typischer Fall in der Praxis.
  • Hier haben wir eine Situation, in der Licht, das die NA-Grenze annähernd ausschöpfen würde, in der Faser nicht geführt werden könnte – trotz erfüllter Bedingung der Totalreflexion!
  • Mit einem Kernradius von ca. 1,62 μm bekommen wir den kleinstmöglichen Modenradius von 2,06 μm. In diesem Fall haben wir 74,6 % der optischen Leistung innerhalb des Kerns. Das Fernfeld reicht signifikant über die NA-Grenze hinaus, die durch die vertikale graue Linie angezeigt wird:
far field of LP01
Abbildung 1: Fernfeld der LP01-Mode.

6,3 % der optischen Leistung liegen außerhalb der NA-Grenze. Für einen noch größeren Kern erhält man einen größeren Modenradius, und wir haben entsprechend weniger Leistung außerhalb der genannten Grenze.

Man mag sich nun fragen, wie die Verhältnisse mit anderen Werten der numerischen Apertur sind. Anstatt dies numerisch zu testen, können wir ein paar einfache Gleichungen verwenden:

  • Nehmen wir an, dass die V-Zahl 2 ist, was für eine ein einmodige Faser ein vernünftiger Wert ist und ziemlich genau unserem Fall entspricht. Daraus können wir den Kernradius berechnen:
$$r_{\rm co} = \frac{\lambda}{2\pi} \: \frac{V}{\rm NA} = \frac{\lambda}{\pi \: {\rm NA}}$$
  • Für diese V-Zahl ist bekannt, dass der Modenradius immer etwas größer ist als der Kernradius – etwa um einen Faktor 1,3.
  • Daraus können wir die Strahldivergenz berechnen unter Annahme eines Gauß-Profils, das hier annähernd gegeben ist:
$$\theta \approx \frac{\lambda}{\pi \: w} \approx \frac{\lambda}{1.3 \: \pi \: r_{\rm co}} = \frac{\rm NA}{1.3} $$

Daraus können wir schließen, dass die Divergenz immer etwas über die NA-Grenze hinausreichen wird, sodass einige Prozent der Winkelverteilung außerhalb dieser Grenze liegen. Für andere Werte von V ist es weniger.

Für diesen einfachen Fall hätte man an sich keine numerischen Tests benötigt. Jedoch sind solche in den folgenden Fällen sehr nützlich.

Faser mit wenigen Moden

Als Nächstes betrachten wir eine Faser, die einen etwas größeren Kernradius von 5 μm hat, was zu sechs Moden führt (zehn, wenn wir alle Orientierungen zählen):

far field of few-mode fiber
Abbildung 2: Fernfeld-Profile der Moden einer Faser mit 5 μm Kernradius.

Der Radius der Grundmode (LP01) ist nun deutlich größer (3,88 μm), was die Divergenz reduziert; ihr Fernfeld ist somit praktisch vollständig innerhalb der NA-Grenze.

Anders ist es für Moden höherer Ordnung, insbesondere für die LP31 und die LP21, die deutlich über die NA-Grenze hinausgehen. (Die Bedeutung dieser Symbole lernen Sie im Artikel über LP-Moden.)

Interessanterweise zeigen keineswegs alle Moden, die nahe an ihrer Cut-off-Wellenlänge liegen, dieses Verhalten. Wenn wir beispielsweise den Kernradius auf 5,75 μm erhöhen, kommt die LP03 nahe an ihren Cut-off (1030 nm). Hier ragt das Modenfeld wesentlich über den Kern hinaus, aber das Fernfeld wird ziemlich schmal und liegt damit praktisch vollständig innerhalb der NA-Grenze:

far field of LP03
Abbildung 3: Fernfeldprofil der LP03-Mode nahe ihrem Cut-off. Die NA-Grenze wird als grauer Kreis angezeigt.

Zum Vergleich betrachten wir das typischere Fernfeld der LP22-Mode:

far field of LP22
Abbildung 4: Fernfeld der LP22-Mode.

Vielmodige Faser

Nun erhöhen wir den Kernradius auf 25 μm, womit die Zahl der Moden auf 129 steigt (oder 248, wenn wir alle Orientierungen zählen). In diesem Fall reichen lediglich ein paar der Moden mit höchsten Ordnungen signifikant über die NA-Grenze hinaus:

far field of multimode fiber
Abbildung 5: Fernfeldprofile der Moden einer Faser mit 25 μm Kernradius. Beachten Sie die logarithmische vertikale Skala.

Für eine solche Faser ist die Anregung einer spezifischen Mode normalerweise nicht realistisch; meist bekommt man eine nicht genau kontrollierte Verteilung der optischen Leistungen überall die Moden. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass jede Mode die gleiche Leistung erhält, und wir betrachten eine ihn kohärente Überlagerung ihrer Intensitätsprofile:

far field profile for incoherent mode superposition
Abbildung 6: Fernfeldverteilung einer inkohärenten Überlagerungen mit gleicher Leistung in allen Moden.

Hier sehen wir einen ziemlich steilen Abfall bei der NA-Grenze (wieder mit der vertikalen Linie gezeigt), und nur wenig Leistung außerhalb dieser Grenze.

In der Praxis wird man oft eher wenig Leistung in die Moden höchster Ordnung schicken, und der Teil, der die NA-Grenze übersteigt, wird dann noch kleiner.

Fazit

Wir konnten von dieser Studie das Folgende lernen:

  • Die einfache Regel für Totalreflexion, die auf ebenen Wellen basiert, kann auf die Situation in einer Faser nicht uneingeschränkt angewandt werden. Deswegen ist es physikalisch möglich, dass die Fernfeld-Verteilungen etwas über die NA-Grenze hinausgehen.
  • Andererseits gibt es spezielle Fälle mit einmodigen Fasern, wo die Fasermode die DNA-Grenze bei weitem nicht ausschöpft.
  • In mehrmodigen Fasern gehen meist nur wenige der Moden höchster Ordnung über die NA-Grenze hinaus, aber selbst einige von diesen (nahe ihrem Cutoff) bleiben völlig innerhalb dieser Grenze.

Eine Kombination von analytischen Überlegungen und numerischen Tests ist ideal, um solche Fragen vollständig zu beantworten.

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