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Fallstudie: Soliton-Selbstfrequenzverschiebung

intro picture

Behandelte Fragen:

  • Wie funktioniert die Soliton-Selbstfrequenzverschiebung?
  • Welche Parameter bestimmen, wie stark sie ist?
  • Wie funktioniert dies näher an der Wellenlänge mit verschwindender Dispersion?

Wir untersuchen ein interessantes Phänomen mit Solitonen in Glasfasern (mit normaler chromatischer Dispersion). Dies tritt vor allem bei kurzen Pulsdauern auf.

Mit einer vereinfachten Betrachtung, bei der nur der Kerr-Effekt in der Faser als eine instantan wirkende Nichtlinearität berücksichtigt wird, bleiben die (fundamentalen) Solitonen sowohl zeitlich als auch spektral unverändert. Jedoch hat die Faser auch eine verzögerte nichtlineare Antwort im Zusammenhang mit mikroskopischen Vibrationen, die stimulierte Ramanstreuung verursacht. Dies hat eine wichtige Auswirkungen auf Solitonen: Es gibt eine Raman-Verstärkung der längerwelligen Komponenten auf Kosten der kürzerwelligen, was effektiv das ganze optische Spektrum zu längeren Wellenlängen hin verschiebt. In einer genügend langen Faser kann diese Drift der Wellenlänge stark sein: um mehrere Nanometer oder u. U. sogar mehr als 100 nm.

Fachbücher untersuchen Solitonen-Effekte häufig basierend auf stark vereinfachten Modellen – beispielsweise ohne chromatischer Dispersion höherer Ordnung und mit einer vereinfachten Form der Raman-Antwort. In diesem Artikel dagegen setzen wir numerische Simulationen ein und sind daher nicht auf solche vereinfachenden Annahmen angewiesen. Dies erlaubt uns, diverse weitere Details zu untersuchen, die in der Realität relevant sein können.

Einrichtung des Simulationsmodells

Wir verwenden für die Simulation die Software RP Fiber Power, die die Power FormPassive Fiber for Ultrashort Pulses” hat. Wir nehmen eine Stufenindexfaser an, wobei wir das Brechungsindexprofil aus dem gegebenen GeO2-Dotierungsprofil berechnen lassen. Damit haben wir dann auch die volle Gruppendispersion der LP01-Mode vom Mode Solver.

Hier sind die Einstellungen im Formular:

part of the Power Form
Abbildung 1: Einstellungen für die Faser im Formular.

Die Eingangs-Pulse haben anfangs eine Pulsdauer von 500 fs und eine sech2-Form. Normalerweise müsste man die korrekte Pulsenergie für ein fundamentales Soliton selbst berechnen und als Eingabewert in das Formular eintragen, was aber ziemlich unbequem wäre. Das Formular ist nicht speziell für Solitonen-Simulationen eingerichtet, aber man kann dort ein paar Zeilen Skriptcode eintragen, die für unsere Studie sehr nützliche Funktionen nachrüsten. Wir verwenden den folgenden Code:

gamma := fiber1.n2_f * (2pi / l_s_c) / A_eff(fiber1.signal)
  { nonlinear coefficient }
E_s := 2 * abs(fiber1.GVD(l_s_c)) / (gamma * (tau_s_in / 1.7627))
  { fundamental soliton pulse energy }
calc cf_set_input("E_s_in", E_s)

Dies greift auf ein paar Variablen zu, die mit den Eingabefeldern verknüpft sind – zB. fiber1.n2_f für den nichtlinearen Index der ersten (und einzigen) Faser und tau_s_in für die Eingangs-Pulsdauer. Schließlich verwenden wir die Funktion cf_set_input(), um den Wert des Eingabefelds für die Pulsenergie zu setzen. Die dabei verwendete Formel finden Sie im Enzyklopädieartikel über Solitonen.

Für die nichtlineare Antwort tragen wir im Formular den nichtlinearen Index ein, aktivieren den “self-steepenig”-Effekt (der im die Frequenzabhängigkeit der nichtlinearen Wirkung berücksichtigt), aktiveren die verzögerte nichtlineare Antwort und wählen für diese “full data for fused silica”. Diese Daten sind deutlich realistischer als die von häufig verwendeten Modellen und stammen aus einem Paper [1]. (Wir könnten jede andere Raman-Antwort einstellen.) So sieht das im Formular aus:

nonlinearity settings in the form
Abbildung 2: Einstellungen für die Nichtlinearität der Faser.

Fall 1: Pulse bei 1550 nm

Wir sind damit bereits für die Simulation der Pulspropagation eingerichtet. Wir nehmen zunächst 500-fs-Pulse bei 1550 nm an. Dies liegt im Telekom-C-Band, wo die chromatische Dispersion der Stufenindexfaser mit −20'456 fs2/m im anomalen Bereich liegt.

Betrachten wir mit einigen Diagrammen, was hier passiert. Zunächst mag die Entwicklung im Zeitbereich überraschen:

temporal evolution
Abbildung 3: Die zeitliche Entwicklung des Pulses, der wegdriftet.

Der Puls driftet mehr und mehr weg. Das liegt daran, dass seine Zentralwellenlänge länger wird und damit die Gruppengeschwindigkeit abnimmt – wir haben ja anomale Dispersion. Irgendwann erreicht der Puls das Ende des numerisch erfassten Zeitbereichs und kommt am anderen Ende wieder herein – ein numerisches Artefakt, dass wir mit einer längeren zeitlichen Amplitudenfolge entfernen könnten. Wir können nun aber diese zeitliche Drift unterdrücken, indem wir im Formular einstellen, dass der Puls z. B. jeweils nach 10 m wieder zeitlich zentriert werden soll. (Wir könnten das auch noch öfter tun, nur kostet das ein wenig zusätzliche Rechenzeit.)

Nun betrachten wir die spektrale Entwicklung:

spectral evolution
Abbildung 4: Die spektrale Entwicklung des 500-fs-Pulses.

Wie erwartet driftet das Pulsspektrum kontinuierlich zu längeren Wellenlängen. Innerhalb eines Kilometers der Faser bekommen wir eine Drift von insgesamt 5,6 nm oder −0,7 THz.

Was passiert, wenn die Pulsdauer auf 250 fs halbieren? Das hat mehrere Konsequenzen:

  • Die Solitonen-Energie wird damit auf 179 pJ verdoppelt, und die Spitzenleistung wird sogar viermal höher. Das hat entsprechend stärkere nichtlineare Effekte zur Folge.
  • Die Puls-Bandbreite wird ebenfalls verdoppelt.
  • Die Raman-Verstärkung wächst mit größerem Frequenzabstand an – zumindest bis zum Maximum bei ca. 13 THz, und unsere Pulsbandbreite startet bei nur 1,26 THz. Das ist ein weiterer Grund für eine stärker werdende spektrale Drift.

Eine Gleichung aus einem Fachbuch [2] sagt, dass die Frequenzverschiebung mit der umgekehrten vierten Potenz der Pulsdauer skalieren sollte. Mit der Simulation für 250-fs-Pulse finden wir eine Drift um 58,2 nm oder −7 THz. Die Frequenzverschiebung wurde als 10 mal größer, während wir nach der Formel einen Faktor 24 = 16 erwartet hätten. Woran liegt das?

Betrachten wir zunächst wieder die spektrale Entwicklung:

spectral evolution
Abbildung 5: Die spektrale Entwicklung des 250-fs-Pulses.

Wir sehen, dass die spektrale Drift mit der Zeit wesentlich langsamer wird. Ebenfalls wird die spektrale Bandbreite deutlich reduziert von 1,26 THz auf 0,91 THz am Ende. Wir können das wie folgt erklären:

  • Unsere Simulation berücksichtigt das volle spektrale Profil der chromatischen Dispersion, nimmt also nicht etwa eine konstante Gruppendispersion an wie in einfachen Fachbuch-Beispielen. Die Stärke des GVD (z. B. in ps / (nm km)) nimmt mit zunehmender Wellenlänge zu.
  • Was bedeutet das für Solitonen? Für eine gegebene Solitonen-Energie muss die Pulsdauer steigen. Das impliziert auch eine reduzierte Bandbreite.
  • Dies wiederum reduziert auch die Spitzenleistung, und dies zusammen mit der abgenommenen Bandbreite bremst die spektrale Drift ab.

Soweit haben wir Ausbreitungsverluste in der Faser vernachlässigt, was nicht ganz realistisch ist. Für eine gute Telekom-Faser haben wir Verluste in der Gegend von 0,2 dB/km. (Natürlich könnten wir in der Simulation auch eine beliebige Wellenlängen-Abhängigkeit einbauen.) Nun haben 0,2 dB hier keinen allzu starken Effekt: nur eine leichte Reduktion der Frequenzverschiebung. Aber wir behalten diese Verluste für das Weitere.

Probieren wir nun, was mit 100-fs-Pulsen passiert:

spectral evolution
Abbildung 6: Die spektrale Entwicklung des 100-fs-Pulses.

Es wird hier ziemlich extrem. Wir mussten die zeitliche Auflösung verfeinern, um einen so großen Wellenlängenbereich abdecken zu können. Übrigens wählt die Software automatisch eine feinere räumliche Schrittweite, was die Berechnungen spürbar langsamer macht. Bei der am Ende erreichten langen Wellenlänge wären die Verluste eigentlich deutlich höher als angenommen; wenn man dies berücksichtigt, wird die Verschiebung nochmals etwas kleiner.

Wir können dies für alle möglichen Pulsdauern probieren. Die natürlichste Art, die Resultate darzustellen, ist ein Diagramm, welches die Frequenzverschiebung als Funktion der ursprünglichen Pulsdauer zeigt. Dieses ziemlich spezielle Diagramm wird vom Formular dieser Software so nicht direkt angeboten, aber wir können das trotzdem erzeugen durch Eingabe von ein paar Zeilen Skriptcode:

diagram 25:

x: 100, 1000, log
"pulse duration (fs)", @x
y: 0.03, 30, log
"abs. value of frequency shift within 1 km of fiber (THz)", @y
frame
hx
hy

! for r := lg(CS_x2) to lg(CS_x1) step -(lg(CS_x2) - lg(CS_x1)) / 10 do
  begin
    tau0 := expd(r) * fs; { do equal steps on the logarithmic axis }
    E0 := 2 * abs(fiber1.GVD(l_s_c)) / (gamma * (tau0 / 1.7627));
    CreateInputPulse(E0, tau0, l_s_c);
    { startpulse_s(E0, tau0, 0); {}
    SimulatePulse(0, 0);
    df := f_m() - c / l_s_c;
    setcolor(blue);
    point(ReIm(tau / fs, -df / THz), "O");
  end;

Das Result (in wenigen Minuten auf einem normalen PC verfügbar):

frequency shift vs. pulse duration
Abbildung 7: Die Frequenzverschiebung in einer 1 km langen Faser als Funktion der Pulsdauer.

Im rechten Teil haben wir eine fast lineare Abhängigkeit auf der logarithmischen Skala, entsprechend der erwähnten einfachen Formel. Im linken Bereich dagegen ist der Verlauf flacher. Übrigens verursacht auch die genaue Form der Raman-Antwort eine gewisse Abweichung von der einfachen Formel.

Fall 2: Pulse bei 1350 nm

Nun starten wir mit einer wesentlich kürzeren Wellenlänge von 1350 nm. Es stellt sich heraus, dass das einiges geändert. Mit 500-fs-Pulsen bekommen wir eine spektrale Drift von nur 0,8 nm auf 1 km:

spectral evolution
Abbildung 8: Die spektrale Entwicklung des 500-fs-Pulses bei 1350 nm.

Das können wir wie folgt verstehen:

  • Bei 1350 nm liegen wir relativ nahe an der Null-Dispersions-Wellenlänge, und der GVD ist fast um eine Größenordnung schwächer als vorher: nur noch −2594 fs2/m.
  • Deswegen wird die Solitonen-Energie viel geringer, und für die Spitzenleistung gilt dasselbe.
  • Dies resultiert natürlich in einer schwächeren Wellenlängen-Drift.

Probieren wir das auch für 100-fs-Pulse:

spectral evolution
Abbildung 9: Die spektrale Entwicklung des 100-fs-Pulses.

Die Wellenlängen-Drift ist hier wieder stärker, obwohl lange nicht so stark wie beim Start bei 1550 nm. Zusätzlich beobachten wir gewisse Oszillationen, die wir vorher nicht hatten. Was ist hier los?

Wir probieren ein paar Dinge aus, um das aufzuklären:

  • Zuerst deaktivieren wir die verzögerte nichtlineare Antwort und das Self-Steepening. Das könnten Sie im Experiment nicht tun, aber in der Simulation ist das ganz einfach. Das Resultat ist, dass dann zwar wie erwartet die spektrale Drift entfällt, die Oszillationen aber weiterhin da sind. Es liegt also offenbar nicht an der Ramanstreuung.
  • Als Nächstes eliminieren wir die Dispersion höherer Ordnung. Dafür definieren wir nun direkt das Brechungsindexprofil entsprechend der Werte, die wir bei 1350 nm hatten. Dazu geben wir einen konstanten GVD von −2594 fs2/m ein. Damit verschwinden tatsächlich die Oszillationen.
  • Wenn wir die verzögerte nichtlineare Antwort und das Self-Steepening wieder aktivieren, aber weiterhin nur mit konstantem GVD arbeiten, bekommen wir wieder eine starke spektrale Drift und relativ schwache Oszillationen:
spectral evolution
Abbildung 10: Die spektrale Entwicklung des 100-fs-Pulses, wenn wir Dispersion höherer Ordnung entfernen.

Wir können also das Folgende erkennen:

  • Dispersion höherer Ordnung (hauptsächlich 3. Ordnung) ist im Wesentlichen für die beobachteten Oszillationen verantwortlich. Bei sonst schwachem GVD spielt sie für breitbandige Pulse eine wesentliche Rolle. Das zu vernachlässigen, führt zu unrealistischen Resultaten.
  • Die Oszillationen entstehen dadurch, dass die Eingangs-Pulsform als Soliton ohne Berücksichtigung der Dispersion höherer Ordnung geschah; ein “richtiges” Soliton hat also eine nicht ganz zu den Eingangs-Pulsen passende Form.

Fazit

RP Fiber Power

Die Software RP Fiber Power ist ein prima Tool für solche Arbeiten – sehr leistungsfähig und doch einfach zu bedienen!

Wir können aus dieser Studie das Folgende lernen:

  • Solitonen werden oft für konstanten GVD und mit anderen vereinfachenden Annahmen berechnet. In der Praxis können aber zusätzliche Aspekte wie Dispersion höherer Ordnung eine wesentliche Rolle spielen.
  • Numerische Simulationen können realistischer sein, da wir hier problemlos das volle Dispersionsprofil, auch spektral variierende Verluste etc. berücksichtigen können.
  • Wir haben gesehen, dass die Soliton-Selbstfrequenzverschiebung mit der Zeit wesentlich langsamer wird, wenn die anomale Dispersion mit der Wellenlänge zunimmt. Das kann man an sich gut verstehen.
  • Wenn wir näher an der Wellenlänge mit verschwindender Dispersion beginnen, wird Dispersion höherer Ordnung sehr relevant, mit Auswirkungen auf das genaue Profil der Solitonen.

Weitere Artikel

Enzyklopädie:

Literatur

[1]D. Hollenbeck and C. D. Cantrell, “Multiple-vibrational-mode model for fiber-optic Raman gain spectrum and response function”, J. Opt. Soc. Am. B 19 (12), 2886 (2002); https://doi.org/10.1364/JOSAB.19.002886
[2]G. P. Agrawal, Nonlinear Fiber Optics, 4th edn., Academic Press, New York (2007)

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